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EIN DEM DIENSTE DER WISSENSCHAFT GEWIDMETES LEBEN: PROF. DR. FUAT SEZGIN

 

„Gelehrte sind die Lichter der Erde“. Hadith

 

Prof. Dr. Mehmet Fuat Sezgin, unser weltberühmter Wissenschaftshistoriker, der Entdecker des goldenen Zeitalters der islamischen Zivilisation, der zahlreiche Werke und Erfindungen muslimischer Wissenschaftler ans Licht gebracht hat, wurde am 24. Oktober 1924
[1] in Kizil Masjid, Bitlis geboren. Sein Vater war Mirza Mehmet Efendi und seine Mutter war Cemile Hanım. Fuat Sezgins Familie stammt ursprünglich aus dem Bezirk Şirvan in Siirt, und seine Vorfahren dienten dem Osmanischen Reich jahrhundertelang als Şirvan-Beys.

 

Fuat Sezgin besuchte 1936 die Grundschule in Doğubeyazıt. Nach dem Tod seines Vaters Mirza Mehmet Efendi ging er nach Bitlis und schloss dort 1939 die Sekundarschule mit Stipendium und Internat ab. 1942 reiste er nach Erzurum und absolvierte den naturwissenschaftlichen Fachbereich des Erzurum-Gymnasiums, ebenfalls mit einem Stipendium und Internat.

 

Fuat Sezgin kam 1943 mit dem Vorhaben nach Istanbul, Mathematik zu studieren und Ingenieur zu werden. Auf Empfehlung eines Verwandten besuchte er allerdings ein Seminar des deutschen Orientalisten Hellmut Ritter (1892-1971), eines der renommiertesten Experten auf seinem Gebiet, am Institut für Orientalistik der Universität Istanbul. Er war von diesem Seminar so beeindruckt, dass er seinen Ehrgeiz, Ingenieur zu werden, aufgab und beschloss, Schüler von Hellmut Ritter zu werden. Weder die Disziplin von Hellmut Ritter noch die Schwierigkeiten des Feldes konnten Sezgin von dieser festen Entscheidung abbringen. Ohne Zeit zu verlieren, schrieb er sich am Institut für Orientalistik ein und begann sein Grundstudium an der Istanbul Universität, der Philosophischen Fakultät, im Fachbereich für Arabische und Persische Philologie. In der Zwischenzeit wurde er durch die Belegung von Französischprüfung – die Sprache hatte er in der Sekundarschule gelernt – von der Fremdsprachenfreistellungsprüfung befreit.

 

„1943 brachte mich einer meiner Verwandten zur Philosophischen Fakultät. Ich wollte jedoch Ingenieur werden. Zu dieser Zeit gab es einen großen deutschen Gelehrten. Er konnte sehr gut Arabisch. Er sagte: ‘Ich möchte dich zu seinem Seminar mitnehmen’. Also sagte ich: ‚Lass uns gehen‘, und ich besuchte das Seminar dieses großen Gelehrten. An diesem Tag war ich von diesem großen Gelehrten fasziniert. Ich habe darauf verzichtet, Ingenieur zu werden oder einen anderen Beruf zu ergreifen. Ich dachte daran, ein Schüler dieses großen Gelehrten zu werden. Die Anmeldezeit war zwar bereits abgelaufen, aber ich ging – auch wenn – mit Verspätung zum Dekan. Zufällig betrat dieser große Gelehrte den Raum, als ich im Zimmer des Dekans war. Er war ein großer Mann. Er hielt an. Er wartete, bis ich das Gespräch mit dem Dekan beendet hatte. Der Dekan sagte zu ihm: ‘Oh. Herr Ritter… Ich spreche gerade mit einer Person, die sich bei Ihnen um das Studium beworben hat’, sagte er. Der Professor sah mich an und sagte: ‘Ich glaube, er war gestern in meinem Seminar.’ Zu seinen Seminaren kamen nur 3-4 Personen, er war eine schwierige Person. Die Studenten liefen vor seinen Seminaren weg. Ich erinnere mich daran, dass ich viele Male als einziger Student teilgenommen habe. Er sagte zu mir: ‘Lassen Sie uns ein wenig reden. Sie streben nach etwas sehr Schwierigem. Sie müssen Arabisch lernen. Ich bin auch ein schwieriger Lehrer. Wissen Sie, dass meine Studierenden immer vor mir weglaufen?’ ‘Ich weiß, sie haben mir diese Dinge erzählt. Ich will dieses Risiko trotz allem eingehen’, sagte ich. Er lachte und sagte: ’Okay.’ Also wurde ich sein Schüler. Als ich zum Seminar in der zweiten Woche kam, war ich 3 Minuten verspätet, er holte daraufhin seine goldene Uhr aus der Tasche, zeigte sie mir und sagte: ‘Du warst 3 Minuten zu spät, das darf sich nicht wiederholen!’ Ich sagte nicht nur ‘OK’ zu ihm, sondern ich achtete von diesem Tag an streng darauf, dass ich nicht zu spät zu meinen Terminen kam.

 

Ich hatte die Gelegenheit, Schüler solch eines Gelehrten zu sein. Aus einem mir unbekannten Grund war ich von diesem Mann fasziniert, und ich hatte das Gefühl, dass er das Wissen der Weisen, die vor ihm gegangen waren, an mich weitergab. Ich habe mir niemals Notizen gemacht. Er sagte es und ich schrieb es in meinem Kopf auf. Glauben Sie mir, das meiste von dem, was er mir gesagt hat, ist immer noch in meinem Kopf. Dieser Mann war vielleicht der größte der großen europäischen Orientalisten. Dies war ein anderer Typus unter den großen Orientalisten. Das hat einen großen Eindruck auf mich gemacht. Es ist mir nicht möglich, Ihnen diesen Eindruck in seiner Gesamtheit zu vermitteln.

 

Als ich studierte, gab es an der Istanbul Universität keinen Studiengang für  Wissenschaftsgeschichte. Mein Professor sagte mir jedoch: ‘Gib Mathematik nicht auf’. Die Fakultät für Naturwissenschaften befand sich bereits uns anbei. Gehen Sie zum Fachbereich Mathematik, nehmen Sie Unterricht, lernen Sie gut Mathematik. Die Muslime haben auch große Mathematiker hervorgebracht’, erklärte er. In seiner Rede nannte er einige Namen: Al-Khwarizmi, Abu’l-Wafa Buzjanî, Ibn Haytham, Birunî, etc. Es waren Namen, die ich nicht kannte und von denen ich noch nie gehört hatte. Ich war entsetzt. Als mein Professor meinen Wissensniveau merkte, erklärte er: ‘Diese und viele andere waren große Gelehrte, und sie standen auf demselben Niveau wie die späteren europäischen Gelehrten; in einigen Aspekten waren sie sogar ihnen überlegen’. Nach diesem Gespräch beschloss ich, Wissenschaftsgeschichte zu studieren.“

 

„Ritters Worte waren für mich wie eine Peitsche, um die Geschichte der islamischen Wissenschaften zu lernen. Ich habe die ganzen alltäglichen Angelegenheiten verlassen und Tag und Nacht dafür gearbeitet.“

 

Obwohl die Türkei am Zweiten Weltkrieg nicht teilgenommen hat, wurde sie von diesem Krieg beeinträchtigt. Als die Universitätslehrveranstaltungen in der Türkei 1943 aufgrund der damaligen Umstände ausgesetzt wurden, riet Ritter seinen Studenten, diese lange Pause zu nutzen und Arabisch zu lernen. Damals beschloss Fuat Sezgin, den Kommentar des islamischen Gelehrten Jarîr al-Tabari zum heiligen Koran mit den Büchern zu vergleichen, die die türkische Übersetzung enthalten. Während dieser Zeit lernte er ständig Arabisch, um den in einer schwierigen Sprache geschriebenen Tafsir zu verstehen. Nach sechs Monaten konnte er den Tafsir von Tabari problemlos auf Arabisch lesen. Als Hellmut Ritter Fuat Sezgin das Buch Ihyâu Ulûmi’d-Dîn des islamischen Denkers Abû Hamid al-Ghazâlî zum Lesen vorlegte, freute er sich, dass sein Schüler dies mühelos tun konnte. Er riet Fuat Sezgin, der ein großes Sprachtalent besaß, fünf Sprachen gleichzeitig zu lernen und jedes Jahr eine neue Sprache zu lernen. Dieses hohe Arbeitstempo behielt Sezgin bis ins hohe Alter bei.

 

Im Jahr 1945, als Fuat Sezgin sein drittes Studienjahr an der Universität antrat, begann er sein freies Grundstudium, um ein Diplom in arabischer Philologie und diplomfreie Zertifikate in alter türkischer Literatur, neuer türkischer Literatur und französischer Literatur zu erwerben.
[2] . Als Hellmut Ritter Fuat Sezgins Entschlossenheit in wissenschaftlichen Studien und seine Hingabe dazu sah, nahm er ihn mit in seine Studien. Sie begannen, gemeinsam die Manuskripte und Forschungen auf dem Gebiet der islamischen Wissenschaftsgeschichte in Bibliotheken zu untersuchen. Durch diese Studien hatte Fuat Sezgin die Möglichkeit, die Defizite in der Erforschung der Geschichte der islamischen Wissenschaften besser zu erkennen. Nach der Lektüre von Carl Brockelmanns Geschichte der Arabischen Litteratur, die auf diesem Gebiet geschrieben wurde, erkannte er einige Mängel dieses Werks und kam zu dem Schluss, dass es vervollständigt werden sollte. Sein Lehrer Ritter stimmte ihm in diesem Punkt sogar zu. Noch während seines Studiums begann er, Quellen zu den Themen zu sammeln, die er erforschen wollte.

 

Fuat Sezgin schloss 1947 an der Philosophischen Fakultät der Istanbul Universität sein Studium für arabische und persische Philologie ab. Er hat auch seine Bachelorarbeit die Entwicklung der Bedî‘-Wissenschaft und der Katalog der Bedîiyyat-Handschriften in Istanbul  abgeschlossen. Diese Arbeit befasst sich mit der Entwicklung der Rhetorik als Teilbereich der Literatur in der klassischen islamischen Zivilisation. Im Oktober 1947 beantragte er die Promotionsstudium und setzte seine wissenschaftlichen Studien unter der Leitung von Hellmut Ritter fort. Er promovierte über den tafsīr Majâz’ul-Qur’ân von Abu Ubayda Ma’mar Ibn al-Musenna al-Taymī (gest. 210/824-5), einem Gelehrten der arabischen Sprache und Tafsir-Wissenschaften. In dieser Arbeit ging es um die metaphorischen Ausdrücke, die im Koran neben der wörtlichen Bedeutung verwendet werden. Er schloss seine Doktorarbeit 1950 ab und reichte sie ein. Fuat Sezgin arbeitete zu dieser Zeit als Angestellter in der Universitätsbibliothek Istanbul.

 

Fuat Sezgin verließ 1950 die Universität Istanbul, wo er sein Promotionsstudium fortsetzte und arbeitete, um als Assistent an der Theologischen Fakultät der Ankara Universität  zu arbeiten. Fuat Sezgin, der einer der ersten Assistenten am Lehrstuhl für Dogmatik von Prof. Muhammet Tayyib Okiç (Abteilung für islamische Grundwissenschaften) an der Theologischen Fakultät in Ankara war, bekleidete diese Position von 1950 bis 1953. Während dieser Zeit leistete er seinen Militärdienst als Reserveoffizier. Während seiner Assistenzzeit verbrachte er einige Zeit in Kairo, um das Werk Majâz’ul-Qur’ân zu veröffentlichen, das er für seine Promotion studiert hatte. Fuat Sezgin verließ seine Assistentenstelle 1953 und kehrte an die Istanbul Universität  zurück, wo er  Jahre lang arbeitete.

 

Am 28. Februar 1953 begann er als Assistent am Lehrstuhl für allgemeine türkische Geschichte in Istanbul zu arbeiten, dessen Vorsitzender Zeki Veli Togan war. Während Fuat Sezgin seine Nachforschungen für seine Doktorarbeit fortsetzte, stellte er fest, dass einige Teile des Hadith-Buches von Bukhari aus dem Majâz’ul-Qur’ân übernommen worden waren. Bukhārīs Verwendung schriftlicher Quellen bewies, dass frühere Thesen, wonach Hadith-Sammlungen ausschließlich auf mündlicher Überlieferung beruhten, falsch waren.

 

Als er als Assistent tätig war, war er auch damit beschäftigt, Material für seine Habilitationsschrift über die schriftlichen Quellen des Tafsirs von Bukhārī zu sammeln. In der Bibliothek des Instituts für Islamische Studien verzeichnete und katalogisierte er die eingehenden Bücher. Er war an der Herausgabe der Zeitschrift Islamische Studies beteiligt und verfasste Artikel für diese Zeitschrift.

 

Fuat Sezgin, der Assistent am Lehrstuhl für Allgemeine Türkische Geschichte war, schloss im Studienjahr 1953/54 seine Habilitationsschrift ab.[3] Er absolvierte erfolgreich die fremdsprachliche Prüfung des Examens für die Habilitation. Fuat Sezgin veröffentlichte 1956 seine Habilitationsschrift mit dem Titel Forschung über die Quellen von Bukhārī.

 

1957 erhielt er das Stipendium der Alexander von Humboldt-Stiftung, die in Deutschland ansässig ist und Wissenschaftler in aller Welt unterstützt. Von 1957-58 reiste er nach Deutschland, um wissenschaftliche Studien zu führen und seine Deutschkenntnisse zu vertiefen.

1960 musste Sezgin sein Studium außerhalb der Türkei fortsetzen, nachdem sein Name auf der Liste der Regierung stand, die durch einen Militärputsch in der Türkei an die Macht gekommen war und 147 Akademiker von den Universitäten verwiesen hatte.

 

„Ein neuer Weg in meinem Leben“

 

Fuat Sezgin musste sich nun von seinem geliebten Heimatland verabschieden. Er war darüber traurig, seine Heimat zu verlassen, aber er war fest entschlossen, diesen Schritt um der Wissenschaft willen zu tun.

 

„Es war gegen Ende 1960, eines Tages ging ich aus dem Haus hinaus und sah die Jungen, die Zeitungen verkauften und riefen: ‚Es steht geschrieben, es steht geschrieben, es steht geschrieben, dass 147 Professoren von der Universität verwiesen wurden!‘ Ich war auf dem Weg zum Institut. Ich nahm die Zeitung in die Hand, sah mir an, auch mein Name stand darin. Ich steckte die Zeitung in meine Tasche, ging in die Süleymaniye-Bibliothek, also nicht in das Institut, und begann, Bücher zu lesen. Meine Studenten und Assistenten fragten sich, wo ich war, riefen mich an und fanden mich in der Süleymaniye-Bibliothek. Eigentlich hatte ich so etwas nicht erwartet, aber ich merkte auch, dass sich die Atmosphäre in der Türkei verändert hatte. Manchmal wollte ich sogar ins Ausland gehen, aber ich konnte nicht allein gehen. Ich liebte meine Heimat sehr, ich wollte viele Dinge tun. Ich hatte ein Institut gegründet, es lief wie am Schnürchen. Ich hatte alles, was ich in Europa gelernt hatte, dorthin mitgebracht. Ich war zuvor als Gastprofessor in Europa gewesen. Ich hatte mich mit dieser Realität abgefunden. Ich ging nach Süleymaniye. Ich schrieb ein paar kurze Briefe an meine Freunde in den USA und in Deutschland: ‘Ab heute bin ich ein Mensch, der von seiner Universität verwiesen wurde, ich würde gerne für Sie arbeiten, gibt es einen Platz für mich?’ Ich erhielt Antworten von drei Universitäten: Universität Frankfurt, Universität Berkeley in Kalifornien und Universität Yale. Ich dachte und dachte, aber ich hatte noch nicht alle Materialien für mein Buch (Wissenschaftsgeschichte des Islams)  gesammelt. Ich wollte nicht aus Istanbul wegziehen, ich wollte nicht aus dem Osten wegziehen, aus Ägypten und dem Iran, denn ich hatte noch eine Menge Materialien zu sammeln. Ich entschied mich für Frankfurt, das einzige Institut für die Wissenschaftsgeschichte auf der Welt. Ihr Direktor war mein Freund. Sobald ich die Antwort erhielt: ‘Sie kommen als Gastprofessor an die Universität Frankfurt’, beendete ich langsam meine Arbeit und fuhr dorthin.

 

Am letzten Abend vor meiner Abreise war ich auf der Galata-Brücke. Von einer Seite in der Nähe von Karaköy aus, die der anatolischen Seite zugewandt war, lehnte ich mich etwa eine halbe Stunde lang gegen das Geländer und begann, tief nachzudenken. Ich fragte mich, wie ich mein ganzes Leben weg von Istanbul leben konnte, die ich so sehr liebte, und welche Gründe es für die Ereignisse gab, die meine Heimatstadt in Aufruhr versetzten. Seit siebenundvierzig Jahren erinnere ich mich bei jedem Besuch in Istanbul an die halbe Stunde, die ich an der nördlichen Ecke dieser Brücke verbracht habe, und wie ich sie mit feuchten Augen verließ.

 

Ich machte mich mit einem Koffer auf den Weg. Ich hatte einige Kleidungsstücke und Mikrofilme für ein paar wichtige Handschriften im Koffer; etwa 20-25 Tausend… Ich nahm sie mit und ging. Aber da war eine seltsame, kindliche Angst in mir. Ich habe nichts Falsches gemacht. Ich war auf dem Weg in eine unbekannte Welt, ein Leben. Ich wusste nicht, wie es funktionieren würde. Der Direktor des dortigen Orientinstituts wollte für sechs Monate in Kairo studieren, und ich bekam seinen Platz, um dort sechs Monate lang zu unterrichten. Aber sie haben mir nicht gesagt: „Du kommst für sechs Monate. Wenn sie mich gefragt hätten, dann hätte ich mir überlegt, ob ich nach Deutschland oder Amerika gehen soll. Ich bin froh, dass sie es nicht  gesagt haben.

 

Der Mann, der mir die Einladung geschickt hatte, Professor Hartner, war ein sehr tugendhafter Mann, wir waren Freunde. Jedenfalls ging ich hin und begann dort sofort mit dem Unterricht. In seinem vierten Monat rief mich mein Freund Willy Hartner eines Tages an und sagte: ‘Komm und trink einen Kaffee mit mir’. Ich bin mitgegangen. Er sagte zu mir: ‘Wir haben Sie für sechs Monate eingeladen, was wollen Sie nach sechs Monaten tun?’ ‘Ich wusste nicht, dass Sie mich für sechs Monate eingeladen hatten’, habe ich erwidert. Er war ein Freund von mir, der nach Kairo ging. Er hat der Universität die Bedingung gestellt: Sezgin kann nur sechs Monate hier bleiben! Sie akzeptierten diese Bedingung, um mir zu helfen. Hartner erzählte mir dieses Detail und sagte: ‘Möchten Sie nach Amerika gehen? Es ist nicht möglich, dass Sie in Frankfurt bleiben. Ich fürchte, wir haben einen solchen Fehler gemacht, um Ihnen zu helfen.‘ Willy Hartner sagte dies in einem Anflug von Verlegenheit.

 

Ich hörte ihm in aller Ruhe zu, was er sagte. Nach dieser Revolution in der Türkei wurde ich zu einem neuen Menschen. Ich begann Willy Hartner zu erzählen, wer diese neue Person war. Und ich sagte: ‘Machen Sie sich keine Sorgen. Ich habe mein Leben immer geplant und gesagt: ‘Ich werde die Schule zu diesem Zeitpunkt abschließen, die Universität zu diesem Zeitpunkt… Ich werde in diesem Alter assoziierter Professor sein’, und all’ das ist mir gelungen. Ich habe gemerkt, dass ich in allem erfolgreich war, und ich wurde verwöhnt. Dann kam ein Militärputsch. Wie ein Netz, das über einen Fisch geworfen wird, war ich in diesem Netz gefangen, und dann wurde mir klar, dass mein Wille als Mensch Grenzen hat. Nach diesem Vorfall habe ich Folgendes beschlossen: Wenn mir eine sechswöchige Zukunft in meinem Leben garantiert wird, werde ich nicht über die siebte Woche nachdenken. Ich habe also noch zwei Monate vor mir. Außerdem habe ich Geld gespart, so dass ich nicht daran denke. Der Mann sah mich an… Er stand auf und umarmte mich. Er sagte mir: ‘Ich bin Atheist, ich glaube nicht an Gott, aber ich beneide Menschen, die so sehr glauben!’ Dann arbeitete der Mann weiter, ohne mir Bescheid zu sagen, ich weiß nicht, mit wem er sich getroffen hat.

 

Es gibt in Deutschland die Stadt Marburg, der Leiter der Hethitischen Abteilung der dortigen Universität kam zu mir und sagte: ‘Wir haben hier einen neuen Lehrstuhl für Orientalistik eingerichtet, es gibt niemanden, der dort Vorlesungen hält, würden Sie diese Vorlesungen übernehmen?’ Ich sagte: ‘ Ja,  in Ordnung’. All dies geschah  innerhalb von weniger als sechs Wochen!

 

So begann ich zu glauben, dass der neue Weg, den ich in meinem Leben einschlug, der richtige war. Im Jahr 1965 schrieb ich am Institut eine neue Habilitationsschrift.  Nach der Habilitation  gaben sie mir  den Titel eines Professors für Wissenschaftsgeschichte.  …“

 

Fuat Sezgin sagte in Bezug auf die Bekanntschaft mit Frau Dr. Ursula Sezgin, die er 1966 heiratete: „Vielleicht eines der wichtigsten Ereignisse in meinem Leben, ein glücklicher Zufall in meinem Leben“ . . Ihre Tochter Hilal Sezgin wurde 1970 geboren.

 

„Ich lernte meine Frau im vierten Monat meines Aufenthalts in Deutschland kennen. Sie war eine junge Deutsche, die zum Islam konvertiert war, bevor wir uns kennenlernten. Sie studierte Geografie und Politikwissenschaften. Dann gab sie es auf. Sie studierte Orientalistik: Arabisch, Persisch, Türkisch usw… Ohne sie wäre meine Arbeit sehr schwierig gewesen. Ich hatte n meinen Glauben. Ich hatte absoluten Glauben an  Gott. Und auch die sehr hohen menschlichen Qualitäten meiner Frau und ihr Glaube an mich und ihre Unterstützung bei der Erreichung meines Ziels waren sehr wichtig. 1961, im vierten Monat meines Aufenthalts dort, begann ich, mein Buch zu schreiben. Während ich mein Buch schrieb, nahm meine Frau das, was ich geschrieben hatte, und studierte es.  . Meine Deutschkenntnisse waren nicht sehr gut, sie hat es korrigiert und für den Druck vorbereitet. Meine Frau war sehr wichtig für mich!“

 

Fuat Sezgin setzte seine Forschungs- und Lehrtätigkeit an der Universität Frankfurt fort. Der Schwerpunkt seiner wissenschaftlichen Arbeit lag dabei auf der Geschichte der arabisch-islamischen Naturwissenschaften. Er habilitierte über  Câbir bin Hayyân[4]  (Habilitationsschrift) am Institut für Geschichte der Naturwissenschaften an der Universität Frankfurt im Jahr 1965 und wurde ein Jahr später zum Professor ernannt.

 

Sezgin, der seit seiner Studienzeit mit der Absicht, Carl Brockelmanns Werk Geschichte der Arabischen Litteratur zu vertiefen, Quellen zu sammeln begann, veröffentlichte 1967 den ersten Band der Geschichte des Arabischen Schrifttums, das umfassendste Werk, das auf diesem Gebiet seit Beginn der Wissenschaft geschrieben wurde. Dieses umfassende Werk besteht aus 17 Bänden und enthält unter anderem folgende Themen: Koranwissenschaften, Hadithwissenschaften, Geschichte, Fiqh, Theologie, , Mystik, Poesie, Medizin, Pharmakologie, Zoologie, Veterinärmedizin, Alchemie, Chemie, Botanik, Landwirtschaft, Mathematik, Astronomie, Astrologie, Meteorologie und verwandte Gebiete, Grammatik, mathematische Geografie und Kartografie.

 

Ein Komitee von mehr als zehn Gelehrten aus verschiedenen Ländern, die an der Vertiefung  von Carl Brockelmanns Geschichte der Arabischen Literatur interessiert waren, schätzte die GAS und beschloss, die Arbeit zur Vertiefung  von Brockelmanns Werk Sezgin zu überlassen. Als Fuat Sezgin ein Exemplar des ersten Bandes an seinen Lehrer Ritter schickte, der sich zu dieser Zeit in Istanbul aufhielt, um die GAS aus fachlicher Sicht zu beurteilen, beglückwünschte der erfahrene Orientalist seinen Schüler mit der Feststellung, dass „niemand zuvor ein solches Werk geschaffen hat und niemand es je wieder schaffen wird“.

 

Als Fuat Sezgin 1978 mit dem König-Faisal-Preis für Islamwissenschaften ausgezeichnet wurde, nutzte er diese Unterstützung und gründete 1982 das Institut für Geschichte der Arabisch-Islamischen Wissenschaften, das an die Johann Wolfgang Goethe-Universität angegliedert ist.

 

Im Jahr 1900 hatte der deutsche Physiker Eilhard Wiedemann begonnen, die in den Werken der islamischen Wissenschaftsgeschichte gefundenen Instrumente originalgetreu nachzubauen, um sie bekannt zu machen. . Bis 1928, also in den 30 Jahren seines Lebens, gelang es ihm, nur fünf Instrumente nachzumodellieren. Prof. Dr. Fuat Sezgin begann sein Studium mit dem Gedanken: „Ob ich es wohl schaffe, 30 Instrumente nachzubauen?“, „Kann ich damit einen Raum füllen, wenn nicht r ein Museum?“. Mit der Modellierung von mehr als 700 Instrumenten in dem von ihm gegründeten Museum für die Geschichte der islamischen Wissenschaften in Frankfurt erzielte er einen Erfolg, der seine Vorstellungen weit übertraf. In demselben Gebäude befand sich die Bibliothek der Geschichte der Wissenschaften, die 45.000 Bände umfasste, die er im Laufe seines Lebens mit großer Sorgfalt und Mühe aus der ganzen Welt gesammelt hatte.

 

„1982 gründete ich ein Institut an der Universität FrankfurtEs war ein Institut mit großen Ansprüchen. Ich hatte zwei Ziele: Erstens musste ich die Grenzen meiner Forschungen und Studien in der Geschichte der islamischen Wissenschaften erweitern. Zweitens dachte ich, dass eine große Masse von Menschen die Aufgabe erfüllen könnte, die wenig bekannten Plätze der Muslime in der Geschichte der allgemeinen Wissenschaften und die falsch getroffenen Urteile zu korrigieren. Mit diesen beiden Zielen gründete ich das Institut. Je mehr ich nachdachte, desto mehr entwickelten sich nach und nach Projekte. Eines dieser Projekte war die Idee, Modelle der von islamischen Gelehrten in den achthundert Jahren ihres Schaffens hergestellten Werkzeuge zu präsentieren und ein Museum mit diesen Werkzeugen zu errichten. Heute konnten wir Modelle von acht hundert Werkzeugen in unserem Institut herstellen Es war ein Schritt, den ich mir nicht hätte vorstellen können. Ich danke Allah, dass wir dieses Stadium erreicht haben“.

 

Prof. Dr. Fuat Sezgin beschloss, ein ähnliches Museum, wie das von ihm in Deutschland gegründete Museum für die Geschichte der islamischen Wissenschaften, in seinem Heimatland, in Istanbul zu errichten. Sein Ziel war, den Türken die außergewöhnlichen Errungenschaften ihrer eigenen Zivilisation und die Beiträge muslimischer Wissenschaftler zur Wissenschaftsgeschichte näher zu bringen. Er kehrte in die Türkei zurück und begann mit den Vorbereitungen für das Museum. Am 25. Mai 2008 wurde das Museum für die Geschichte der islamischen Wissenschaft und Technologie eröffnet, von dem Fuat Sezgin aufgrund seiner Bemühungen und seines Einsatzes für sein eigenes Volk in seinem eigenen Land seit Jahren geträumt hatte. Eröffnet wurde sie vom damaligen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdoğan. Das Museum befindet sich im Gülhane-Park in Istanbul und enthält etwa 600 Artefakte. Diese beiden Museen, die im Bereich der Geschichte der islamischen Wissenschaft eingerichtet wurden, stellen eine große Innovation in ihrem Bereich dar, indem sie die Entwicklung der Wissenschaftsgeschichte in verschiedenen Disziplinen und die Erfindungen und Entdeckungen, die die muslimischen Wissenschaftler der Menschheit über Jahrhunderte hinweg geschenkt haben, präsentieren.

 

Es gibt ein 5-bändiges Katalogwerk mit dem Titel Wissenschaft und Technik im Islam, das von Prof. Dr. Fuat Sezgin verfasst wurde, um die Instrumente in diesen Museen vorzustellen. Als Museumskatalog wurde zum ersten Mal ein so umfassendes und ganzheitliches Werk verfasst und in 4 Sprachen veröffentlicht: Türkisch, Englisch, Deutsch und Französisch.

 

Fuat Sezgin erwähnt das von ihm gegründete Museum für die Geschichte der islamischen Wissenschaft und Technologie in Istanbul wie folgt:

 

„Zuallererst danke ich Allah. Diese Einweihungsphase wurde realisiert, und die Menschheit, insbesondere unser Land, hat ein solches Museum in einer internationalen Stadt wie Istanbul. Ich glaube, dass die Eröffnung dieses Museums in Istanbul die falschen Ansichten und die Ignoranz der Türken gegenüber ihrer eigenen Zivilisation ändern wird. Das ist mein erstes Ziel. Darüber hinaus ist Istanbul eine Stadt, die von Millionen von Touristen besucht wird. Millionen von Touristen werden dank dieses in Istanbul eingerichteten Museums sehen, was für eine hohe Zivilisation die islamische Zivilisation ist und welchen großen Platz sie in der Geschichte der Wissenschaften einnimmt. Wie Sie wissen, sind die Artefakte in diesem Museum Kopien der Artefakte in dem Museum, das ich vor 26 Jahren an der Universität Frankfurt aufzubauen begann. Einige der Werkzeuge, die wir hier zeigen, sind Modelle von Werkzeugen, die hier und da noch vorhanden sind. Aber fünfundneunzig Prozent von ihnen haben bis heute nicht überlebt, sie sind verloren gegangen und sind nur noch Werkzeuge, deren Beschreibungen in Büchern zu finden sind. Als ich vor 25 Jahren mit der Entwicklung dieser Werkzeuge begann, wusste ich das auch nicht. Als ich anfing, dachte ich, ich könnte nur fünf bis zehn Instrumente herstellen. Mit der Zeit entwickelte sich das Geschäft, und die Zahl der von uns erstellten Werkzeuge erreichte oder überstieg sogar achthundert. Das war ein unerreichbarer Traum für mich. In den letzten Jahren wurde der Wunsch geäußert, eine Kopie dieser Instrumente in die Türkei zu bringen. Aber wie könnte ich diesen Wunsch erfüllen? Mit großer Dankbarkeit möchte ich noch einmal erwähnen, dass dieses Gebäude, das ich zufällig mit einem Freund im Gülhane-Park sah, mich glauben ließ, dass mein Traum wahr werden könnte. Herr Kadir Topbaş, der Bürgermeister der Stadt Istanbul, besuchte uns und sagte, dass er uns dieses Gebäude geben würde. Danach begannen wir, die Anforderungen dieses Auftrags zu erfüllen. Ich muss sagen, dass die türkische Regierung, insbesondere der Premierminister (Recep Tayyip Erdoğan), uns großartige Möglichkeiten gegeben hat, diesen Ort zu einem Museum zu verwandeln. Der größte Teil der Instrumente wurde von unserem Institut gespendet. Zwanzig Prozent davon wurden vom Staat finanziert. Natürlich gab es auch Ausgaben für die Restaurierung des Gebäudes. All dies wurde großzügig vom Staat zur Verfügung gestellt. Erfreulicherweise fand die Eröffnung am 24. Mai statt und stieß auf großes Interesse. Ich kann sehen, dass es ein Ort ist,  der von Türken und ausländischen Touristen intensiv besucht wird.   Ich bin sehr glücklich und Allah dafür dankbar.“

 

Im Jahr 2010 wurde die Prof. Dr. Fuat Sezgin Stiftung für die Erforschung der Geschichte der islamischen Wissenschaft gegründet, um die Aktivitäten des Museums zu unterstützen. Darüber hinaus wurde 2013 an der Fatih Sultan Mehmet Stiftungsuniversität unter der Leitung von Fuat Sezgin der Fachbereich Wissenschaftsgeschichte etabliert, in dem Bachelor-Studenten, Graduierte und Doktoranden ausgebildet werden. Fuat Sezgins letzter großer Verdienst für die Türkei im Bereich der Wissenschaftsgeschichte war die Gründung der Bibliothek für Wissenschaftsgeschichte von Prof. Dr. Fuat Sezgin und Dr. Ursula Sezgin. Während all dieser Studien von Fuat Sezgin hat Dr. Ursula Sezgin ihren Mann immer unterstützt. Die 2017 im Gülhane-Park eingerichtete Bibliothek verfügt über rund 27.000 Bücher. Fuat Sezgin, der die Arbeit an den in der Bibliothek inventarisierten Büchern aufmerksam verfolgte, besuchte oft die Studenten der Abteilung für Wissenschaftsgeschichte der Fatih Sultan Mehmet Stiftungsuniversität, die an dieser Arbeit beteiligt waren. Er betonte die Bedeutung der katalogisierten Bücher und wies darauf hin, dass er seinen Studenten das Gebiet der Geschichte der islamischen Wissenschaften anvertraut habe und dass sie mit Entschlossenheit arbeiten sollten. Selbst in den letzten Tagen seines Lebens blieb er dem Bereich der islamischen Wissenschaftsgeschichte und seinen Büchern nicht fern.

 

„Der Tod des Gelehrten    gleicht dem Tod der Welt“

 

Prof. Dr. Mehmet Fuat Sezgin starb am 30. Juni 2018 in Istanbul, wo er seine letzten Jahre verbrachte und seine Studien fortsetzte. Er widmete sein Leben der Wissenschaft mit einer nur mehr selten wiederzufindender Entschlossenheit und harter Arbeit, die an die Grenzen der menschlichen Kraft grenzt, und hinterließ sehr wertvolle Werke und Gedanken. Fuat Sezgin war ein außergewöhnlicher Wert, der von Gelehrten, die sich mit der Geschichte der islamischen Wissenschaften und des islamischen Denkens befassen, mit Interesse verfolgt wurde, man von seinen Werken profitierte, und der auf seinem Gebiet einen außerordentlichen Platz einnahm.

 

„Möge die Seele von Fuat Sezgin gesegnet sein, und mögen die Gebete der Wissenschaftsgemeinschaft Zeugnis und Wohltätigkeit für seinen Beitrag zur Wissenschaft sein.“

 

[1]

Aufgrund einer Praxis des Einwohnermeldeamtes in jenen Jahren wurde das Geburtsdatum von Prof. Dr. Fuat Sezgin als 1. Juli 1924 in seiner Geburtsurkunde eingetragen. Das tatsächliche Geburtsdatum von Fuat Sezgin ist jedoch der 24. Oktober 1924.


[2]

Damals wurde das Programm zusätzlich zur Grundausbildung angewandt, um Zertifikate in verschiedenen Bereichen zu erhalten, und erlaubte es, eine Diplomarbeit zu schreiben und sich zu spezialisieren.

 

[3]

 

Die Habilitation erfolgt nach der Promotion in einer wissenschaftlichen Disziplin durch die Vergabe einer weiteren wissenschaftlichen Arbeit. In Ländern, in denen diese Praxis besteht, ist eine Habilitation erforderlich, um Professor zu werden.


[4]

Fuat Sezgin habilitierte sich in diesem Bereich, um an der Universität Frankfurt im Fachbereich Geschichte der Naturwissenschaften lehren zu können.